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Die Entwicklung der neuen Hauptstadt Indonesiens

Meine Forschungsgeschichte aus Deutschland

Für seine Master-Arbeit an der Georg-August-Universität Göttingen reiste der indonesische Student Hayyu Mahabbah im Sommersemester 2023 auf die Insel Borneo und betrieb dort Feldforschung zum nationalen Großprojekt IKN, der Entwicklung einer neuen Hauptstadt Indonesiens, die schon bald die Megacity Jakarta auf der Insel Java als politisches Zentrum ablösen soll. Impulse für sein Vorhaben, am Beispiel von IKN verschiedene Aspekte nachhaltiger Entwicklung zu untersuchen, erhielt er u.a. durch seine Teilnahme am Studienbegleitprogramm STUBE Niedersachsen des KED. Wie er dazu kam, seine Masterarbeit diesem Thema zu widmen, und mit welchen Eindrücken er von der Feldforschungsreise zurückgekehrt ist, schildert er im folgenden Text. Unter dem Titel „Indonesia’s New Capital City (IKN) Development: My Research Story from Germany“ wurde dieser Artikel in englischer Sprache verfasst, vom Autor selbst mithilfe von künstlicher Intelligenz ins Deutsche übersetzt und dann in Abstimmung mit dem Autor geringfügig redaktionell überarbeitet (Redaktion: Andreas Kurschat).

Am 16. August 2019 erklärte der Präsident Indonesiens, Joko Widodo, in einer Präsidentenrede vor dem Parlament in Jakarta, dass die Hauptstadt auf die Insel Borneo verlegt werden solle. Der genaue Standort war zu dem Zeitpunkt noch nicht festgelegt. Dies wurde zu einem großen Gesprächsthema unter den Bürgern Indonesiens.

Trotz der Covid-19-Krise und des wirtschaftlichen Stillstands in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 beschloss die Regierung, mit dem Bau im Verwaltungsbezirk Penajam Paser Utara, Provinz Ost-Kalimantan/Borneo, zu beginnen. Kurz darauf, im Januar 2022, wurde das Gesetz über die neue Hauptstadt („Undang-Undang Republik Indonesia Nomor 3 Tahun 2022 tentang Ibu Kota Negara“) schließlich vom Parlament verabschiedet.

Wo die künftige indonesische Hauptstadt entstehen soll, prägen Bauarbeiten zurzeit das Bild im Verwaltungsbezirk Penajam Paser Utara (Ost-Kalimantan/Borneo) – hier beim Dorf Bumi Harapan im April 2023. Das hügelige Areal ist noch zum großen Teil mit Eukalyptus-Plantagen bewachsen. | Bildquelle: Hayyu Mahabbah

Zu dieser Zeit absolvierte ich mein zweites Semester im „International Master in Soils and Global Change“ (IMSOGLO) an der Universität für Bodenkultur Wien, Österreich. Ich erinnere mich, dass ich den Kurs über Globalisierung und ländliche Entwicklung bei Dipl.-Volkswirt Dr. Martin Kniepert belegte und davon inspiriert wurde. Wie Sie vielleicht wissen, gilt das Konzept der „Globalisierung und Modernisierung“ oft als der ultimative Weg der Gesellschaft. Doch werden die sozialen Aspekte einer solchen Entwicklung dabei oft vernachlässigt. Es bedarf mehr als nur biophysikalischer Studien, um die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Menschen und Umwelt zu verstehen.
Eine moderne, grünere und intelligentere Stadt („smart city“) entstehen zu lassen, klingt nach einer überlegten Zielsetzung. Doch ich fragte mich: „Wie steht es um die lokalen Gemeinschaften, die in der Region ansässig sind? Wie empfinden sie diese plötzliche Veränderung? Wurden sie in die Diskussion einbezogen? Was ist mit den Auswirkungen auf Klima und Umwelt? Was werden sie jetzt tun?“
Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch unabhängig von Ethnie, Macht und Status das Recht hat, das Subjekt seines eigenen Lebens zu sein. Als ich von dem Gremium, das den Studiengang IMSOGLO koordiniert, nach dem Thema meiner Master-Arbeit gefragt wurde, entschied ich mich dafür, mich mit den möglichen sozio-ökologischen Auswirkungen der Entwicklung der neuen Hauptstadt Indonesiens zu befassen. Ich fühle mich sehr geehrt, dieses Thema mit Hilfe von Dr. Philipp Sacher von der Georg-August-Universität Göttingen als meinem Hauptbetreuer und Mag.rer.nat. Dr.phil. Veronika Gaube von der Universität für Bodenkultur Wien als meiner Co-Betreuerin verfolgen zu können.

Ich habe all meine Ersparnisse aufgebraucht und mich entschlossen, nach Ost-Kalimantan/Borneo zu reisen, obwohl ich nur begrenzte Informationen hatte. Ich packte meine Taschen und flog vom Frankfurter Flughafen los. Ich kam an, ich wurde Zeuge, hörte zu, redete und fühlte persönlich mit. Und ich habe den leidenschaftlichen Wunsch, Sie an meiner Erfahrung und der Geschichte der Leute dort teilhaben zu lassen.

Zu Beginn seines Feldforschungsaufenthalts Ende März 2023 unternimmt der Autor (rechts) im Dorf Bukit Raya einen Spaziergang mit dem Sohn seiner dortigen Gastfamilie. | Bildquelle: Hayyu Mahabbah

Ibu Kota Nusantara – IKN, die neue Hauptstadt
Am 17. Juli 1957 machte Sukarno, der erste Präsident des Landes, erstmals den Vorschlag, die Hauptstadt Indonesiens von der Insel Java weg zu verlegen. Allerdings wurde dann doch Jakarta offiziell zur Hauptstadt erklärt und nicht wie ursprünglich vorgeschlagen Palangkaraya, Provinz Zentral-Kalimantan/Borneo. Aufgrund zahlreicher sozialer und Umwelt-Probleme fasst die indonesische Regierung nun erneut eine Verlegung der Hauptstadt in eine Region außerhalb Javas ins Auge. Unter der Führung von Präsident Joko Widodo wurde diese Initiative ins Leben gerufen.
Die neue Hauptstadt wird als Symbol sowohl für die Expansion und Entwicklung des Landes als auch für seine Identität betrachtet. Die Entscheidung Indonesiens, seine Hauptstadt von Jakarta weg zu verlegen, beruht auf mehreren dringenden Gründen, u.a.:

  1. Überbevölkerung von Jakarta mit einer Bevölkerung von 10,5 Millionen Menschen und zusätzlichen Pendlern, die täglich in die Stadt pendeln,
  2. Verwundbarkeit von Jakarta als Stadt mit der höchsten Bodenabsenkungsrate,
  3. Schädigung der Umwelt in Jakarta,
  4. Hoffnung der Regierung, dass die Verlegung der Hauptstadt das Wirtschaftswachstum im ganzen Land ankurbeln wird, insbesondere in den weniger entwickelten Gebieten Indonesiens.

Das für die neue Hauptstadt ausgewiesene Gebiet befindet sich im Verwaltungsbezirk Penajam Paser Utara, Provinz Ost-Kalimantan/Borneo. Gemäß dem verabschiedeten Gesetz gibt es fünf Gründe für diese Wahl, darunter die strategisch günstige Lage in der Mitte Indonesiens und das minimale Risiko von Naturkatastrophen. Die neue Hauptstadt trägt den Namen IKN, eine Abkürzung für „Ibu Kota Nusantara“. Dies bedeutet „Hauptstadt von Nusantara“ und Nusantara wird oft als eine andere Bezeichnung für Indonesien aufgefasst. Der Ursprung dieses Namens geht auf das Majapahit-Reich im 14. Jahrhundert zurück.
Die Gesamtentwicklungsfläche von IKN (KP-IKN) umfasst 256.142 Hektar. Davon entfallen 56.180 Hektar auf die eigentliche Stadt IKN (K-IKN) und 6.670 Hektar auf einen zentralen Regierungsbereich (KIPP). Die Regierung arbeitet eilig daran, Land zu erwerben und den zentralen Regierungsbereich zu errichten, da das Ziel besteht, am 17. August 2024 im neuen Präsidentenpalast den Unabhängigkeitstag Indonesiens zu feiern. Dieser zentrale Regierungsbereich überlappt sich mit drei Dörfern, nämlich Bukit Raya, Bumi Harapan und Pemaluan. Die schnellen Veränderungen in der Region waren der Grund für mich, persönlich dorthin zu reisen, um den Standort zu sehen und von den Menschen zu hören.

Ein typisches Wohngebiet im Dorf Bukit Raya, das sich entlang der schmalen, ziemlich neu asphaltierten Straße erstreckt. Es entstand 1976 während der ersten Phase des indonesischen Transmigrationsprogramms. | Bildquelle: Hayyu Mahabbah

Meine Erfahrung in IKN
Am 30. März 2023 landete ich am Flughafen in Balikpapan, Provinz Ost-Kalimantan/Borneo, und verbrachte vier bis fünf Tage in jedem Dorf der Hauptstadtregion, um mit den Menschen dort zu sprechen, einschließlich der Meinungsführer. Meine offenen Interviewfragen teilte ich in drei Teile auf: allgemeine Perspektive, biophysische und klimatische Auswirkungen sowie sozioökonomische Auswirkungen.

Die Temperaturen waren heiß und lagen im Durchschnitt bei 24–31°C. Mein Körper benötigte einige Zeit, um sich an die Temperatur und Luftfeuchtigkeit zu gewöhnen. Je nach Verkehr und Strecke dauerte es zwei bis vier Stunden, um zum zentralen Regierungsbereich (KIPP) zu gelangen. Die Regierung ist entschlossen, mehr Autobahnen zu bauen, um die Anbindung zu verbessern. Es gibt eine erschwingliche Option für Shuttle-Busse vom Flughafen, die jedoch nicht so häufig verkehren und von DAMRI, einem staatlichen Busunternehmen in Indonesien, betrieben werden. Ansonsten muss man sich auf Taxis oder privat betriebene Shuttles verlassen. Stellen Sie sich eine Autofahrt vor, bei der die Sonne hell scheint und die Straße von großen grünen Bäumen gesäumt ist. Dann begegnen Ihnen unterwegs mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Affen und Sie erleben das ständige Auf und Ab einer Fahrt durch unebenes Gelände, das den Magen mancher Menschen durcheinanderbringen kann.

Bei meiner Ankunft an der ersten Stätte wurde ich von einem Vertreter der Dorfverwaltung begrüßt, der mich später meiner Gastfamilie vorstellte. Wie fasziniert war ich, meine erste Gastmutter in IKN zu treffen! Sie war eine so energiegeladene Frau und die einzige weibliche Leiterin eines RT („Rukun Tetangga“, kleinste lokale Verwaltungseinheit in Indonesien, ca. 30–50 Haushalte umfassend) in der Gegend. Alle meine Gasteltern und die Menschen, denen ich dort begegnete, waren wunderbar. Wie kann ich die Gemeinschaften dort beschreiben? Zusammenhaltend. Die Gemeinschaften legen großen Wert auf nachbarschaftliche Zusammenarbeit – oder, wie man in Indonesien sagt, „gotong royong“.

Im Dorf Bumi Harapan wird der Autor (ganz links) im April 2023 von dieser Gastfamilie aufgenommen, um auch dort Feldforschung betreiben zu können. | Bildquelle: Hayyu Mahabbah

Zu meiner Überraschung sehen die meisten Menschen dort wie ich aus und sprechen die Sprache meiner Eltern – Javanisch. Später erfuhr ich, dass IKN nicht das erste Projekt war, bei dem Menschen umgesiedelt wurden. Kurz gesagt, in den Jahren 1976–1982 wurde einigen Menschen in Java die Möglichkeit geboten, mit Vergünstigungen in die Dörfer umzuziehen, die nun zufällig mein Forschungsschwerpunkt sind. Dies war Teil von Indonesiens „Transmigrationsprogramm“. Im Laufe der Zeit kamen Menschen unterschiedlicher Ethnien aus ganz Indonesien in diese drei Dörfer und assimilierten sich dort.

„Meine Bekannten aus der lokalen Gemeinschaft, die indigenen Menschen, tun mir leid. Die meisten von ihnen sind in KIPP, nicht wahr? Sie leben gerne in Gemeinschaft, mit ihren Familien, und bilden solche Gruppen. Das war vorher genauso; also, sie lebten am Flussufer, wurden (von der Regierung) dorthin gebracht und ließen sich nieder. Und jetzt, da dort KIPP ist, werden sie wieder auseinandergerissen. Ja, diejenigen, die noch Land hier haben, können überleben. Aber wohin sollen diejenigen gehen, die kein Land mehr haben?" – Abdul Hamid, Grundschullehrer

Auf meiner Reise sprach ich mit einigen indigenen Menschen, deren Vorfahren seit der Zeit der niederländischen Kolonialisierung in der Region siedelten. Sie haben rasche Veränderungen miterlebt. Zum Beispiel haben sie in einem Zeitraum von etwa 50 Jahren anfangs noch durch Brandrodung mit traditionellem Werkzeug und natürlichen Hilfsmitteln Landwirtschaft betrieben, dann kam das Transmigrationsprogramm mit großen Plantagenunternehmen, vor etwa sechs Jahren die Umstellung auf eine mechanisierte Landwirtschaft mit Palmöl und anderen Erzeugnissen, und heute stehen sie vor dem Übergang zu hoch diversifizierten Arbeitsplätzen und der neuen Hauptstadt IKN.

Mit Zubaen, dem Oberhaupt der ethnischen Gruppe „Suku Balik“ (links), trifft sich der Autor im Dorf Pemaluan im April 2023 zu einem Interview. | Bildquelle: Hayyu Mahabbah

Ihre Hauptsorge bleibt: „Wohin sollen wir gehen?“ Die Verwaltung bietet der lokalen Bevölkerung aus deren eigener Sicht ein gutes, systematisches Verfahren bei der Landbeschaffung. Allerdings ist diskussionswürdig, ob der für das Land gebotene Gegenwert fair ist. Diejenigen, die außer ihrem derzeitigen Wohnhaus kein weiteres Land haben, sind besorgt über die Umsiedlung, da ihre Lebensgrundlage dann nie wieder dieselbe sein würde. Die Menschen, der Lebensraum, das Haus und die Erwerbstätigkeit würden sich verändern.

In der Region gibt es verschiedene Probleme durch Überschwemmungen und gelegentliche Dürreperioden. Wissenschaftler sind sich einig, dass der Klimawandel das Ausmaß und die Unregelmäßigkeit solcher Ereignisse verstärken wird. In meinen Interviews habe ich festgestellt, dass die Menschen zwar der Klimaproblematik keine hohe Aufmerksamkeit widmen, aber den Zusammenhang zwischen Umweltveränderungen und deren Folgen wie Überschwemmungen, Dürren und Rückgang der Artenvielfalt klar verstehen. Leider sind die Bemühungen um Klimaschutz und Risikominderung recht gering, und ich verstehe dies im Kontext einer sich entwickelnden Gesellschaft, in der die Priorität darauf liegt, jeden Tag zu überleben.

Der Bauer Samidi, der früher als Angestellter gearbeitet hat, wird vom Autor im April 2023 für ein Interview aufgesucht. Sein Haus ist typisch für die gesamte Untersuchungsregion. | Bildquelle: Hayyu Mahabbah

Die wirtschaftlichen Multiplikatoreffekte werden von den Menschen begrüßt und positiv wahrgenommen, da sie den allgemeinen Wohlstand der Region erhöhen sollen. Die bessere Straßeninfrastruktur und die Aussichten auf verbesserte öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser lassen die aktuell anhaltenden Unannehmlichkeiten durch Staub, schnell fahrende schwere Baufahrzeuge und Lärm bei Tag und Nacht in den Hintergrund treten. Eines kann ich mit Sicherheit sagen: Mit dem Wunsch nach besserer lokaler Integration und Kooperation unterstützen die Menschen von Bukit Raya, Bumi Harapan und Pemaluan voll und ganz IKN.

Wenn Sie mehr über meine Forschung erfahren möchten, können Sie mich unter hayyu.mahabbah@stud.uni-goettingen.de kontaktieren.

Hayyu Mahabbah

Mein Name ist Hayyu Mahabbah, ich bin Master-Student an der Georg-August-Universität Göttingen. Ich habe an verschiedenen STUBE-Seminaren teilgenommen. STUBE hat mir geholfen zu erkennen, dass es immer noch freundliche Menschen auf der Welt gibt, die dein Potenzial sehen, deine Schwierigkeiten verstehen und unabhängig von deinem Hintergrund persönliche Unterstützung bieten.